Warum halten wir “Bio” für wichtig?

Manche Menschen entscheiden sich beim Einkaufen nicht für Bio, weil sie befürchten, dass sie dabei doch nur übers Ohr gehauen werden. Doch Branchen-Insider wissen: Zertifizierte Biobetriebe werden von unabhängigen Stellen sehr sorgfältig und streng kontrolliert. Allerdings kann man sich darüber Streiten, “was nun eigentlich wirklich Bio ist”. Zunächst gibt es einen erheblichen qualitativen Unterschied zwischen dem “Bio-Mindeststandard nach EG-Ökoverordnung“, dem sogenannten EU-Bio und den hohen Biostandards der Anbauverbände, wie z.B. Demeter oder Bioland. Für letztere ist Bio Überzeugungssache und man versucht hier die Belange der Natur wirklich zu achten. Tatsächlich kann man sich fragen, wie z.B. Obst aus Argentinien eigentlich Bio sein kann, wenn er zwar ohne Spritzmittel gewachsen ist, sein Transport mit dem Flugzeug aber der Natur erheblichen Schaden zufügt? Auch wir von Natura Medica müssen uns das fragen, denn ein Teil unserer Produkte kommt vom anderen Ende der Welt. Wir meinen Bio-Labels müssten hier ständig erweitert und strenger gefasst werden.

Das Wörtchen Bio bedeutet übersetzt ja (griech.) “Leben”. Doch was wiederum bedeutet Leben? – Fest steht, Leben hat ziemlich viel mit Natur zu tun. Bei Leben handelt es sich um eine zutiefst natürliche Angelegenheit. Könnte man also behaupten, “Bio” stehe für Natur? Oder noch direkter: Bio bedeutet mehr Natur?

Die Biobranche boomt. Waren es noch vor wenigen Jahren nur nur ein paar Idealisten, die mit ihren kleinen Naturkostläden die Sache der Natur vertraten, so gibt es heute Bio auch bei den großen Discountern. Ganze Supermärkte ausschließlich für Bio finden sich ja heute auch in Kassel. Die Nachfrage ist so hoch, dass Bioprodukte aus dem Ausland importiert werden müssen. Das hat auch zur Folge: Billig-Bio-Importe vernichten Biobetriebe im Inland.

Andererseits sind wir in den Städten von immer weniger Natur umgeben. Die Häuser werden immer höher, es gibt immer mehr Beton, immer mehr Verkehr, immer weniger ursprüngliche Natur, sondern eine von Menschen gebaute, immer künstlichere Welt. Eine Welt, in der aber auch Gift- und Schadstoffe immer mehr zunehmen.  Kaufen wir deshalb soviel Bio, weil wir die Natur vermissen? Hoffen wir über Bio ein Stück der verlorenen Natur zurück zu kriegen?

Insgesamt werden Biolebensmittel “naturnäher”, was die strengeren Bionormen angeht, oft auch weniger industriell erzeugt. Bio steht vor allem für mehr Tierwohl. Zum Beispiel müssen Rinder nicht ihr Leben lang im Stall stehen, sondern sie haben von Frühjahr bis Herbst Weidegang.

Auch der Einsatz von Antibiotika bei Tieren ist nur im Krankheitsfall erlaubt. In der konventionellen, industriellen Massentierhaltung dagegen werden Antibiotika als eine Art Dopingmittel eingesetzt. Masthähnchen z.B. würden ihre rund 30-tägige qualvolle Existenz sonst gar nicht überleben. Die direkte Folge dieses Medikamentenmissbrauchs sind MRSA-Keime, multiresistente Bakterien, die sich rapide ausbreiten. Sie zeigen, wie eine skrupellose Industrialisierung von Natur zu Gefahren für den Menschen führt.
Bio steht außerdem für weniger Gifte in den Nahrungsmitteln durch Verzicht auf Pestizide. Das wiederum danken die bestäubenden Insekten, insbesondere die Bienen.
Ohne chemische Dünge-Keule können die Pflanzen natürlich wachsen, statt zu wuchern, und es bilden sich mehr gesunde Flavonide und Geschmacksstoffe.

Der Verzicht auf Gentechnik ist ein weiteres “Bio-Kriterium”. Er zeugt von einem verantwortungsvollerem Umgang mit der Natur. Nicht „Frankenstein“ ist das Ziel, sondern natürliches Wachstum.

Immer mehr Technik, immer mehr Konsum und eine industrielle Ausbeutung von Natur gibt es auf der einen Seite; eine hohe Bionachfrage und ein großes Interesse an Natur auf der anderen. So reisen Menschen tausende Kilometer weit, um irgendwo auf der Welt noch ein Stück unberührte Natur zu finden. Auch unser Körper ist zu 100 Prozent Natur. Als Lebewesen sind wir eigentlich voll Bio könnte man sagen. Und es fragt sich, ob in einer Welt aus Beton, Abgasen und Umweltgiften sich das Leben auf der Erde überhaupt jemals hätte entwickeln können.

Blickt man hinaus in den Weltraum, ist die Größe der Natur unvorstellbar. Sind wir mit dem technischen Wachstum überhaupt auf dem richtigen Weg? Sollte nicht in all den Wachstumskonzepten die Natur auch eine größere Rolle spielen? Glauben wir wirklich mit dem, was wir Technik nennen, diese unbegreiflich große Natur beherrschen zu können?

Oder umgekehrt: Haben wir mit dem allgegenwärtigen Naturverlust letztlich nicht mehr verloren, als wir zuzugeben bereit sind? Haben wir mit der verlorenen Natur nicht einfach auch das Leben verloren? Vielleicht müssen wir deshalb soviel “konsumieren”, der Konsum als eine Art Ersatzdroge für das entgangene Leben.

Letztlich haben wohl auch Kriege mit immer mehr Opfern, unbemannten Tötungsdrohnen etc. etwas zu tun mit Industrialisierung und Naturverlust. Denn wo keine Natur mehr ist, da gehen Empfindungen und der Respekt vor dem Leben verloren. Tiere töten zwar auch, aber in der Regel nicht ihre eigenes Spezies und nur um zu Fressen, nicht für Ideen, die sie im Kopf haben oder Rechtfertigungskonzepte, die beim genaueren Hinschauen nur die eigene Gier und Vorteilsnahme sind.

Wenn Sie also das nächste mal auf dem Weg zum Einkaufen im Stau stecken bleiben und Zeit haben, sich zu fragen “Ist es mir wert Bio zu kaufen oder nicht?” – dann bedenken Sie: Mit Bio entscheiden sie sich wenigstens im Kleinen für eine lebendigere Welt mit mehr Natur.